Du erinnerst dich an eure erste, geliebte Tangolehrerin, die euch ins Tangotanzen eingeführt hat: Die vertrauten Musikstücke erklingen in dir, du siehst den Raum vor dir, dich selbst, in deinen tanzgeeignet besohlten, aber absolut untangomäßigen Sandalen, und deinen Partner, wie ihr unsicher dasteht, zusammen mit anderen, euch unbekannten Paaren.
Zum Aufwärmen stehen alle im Kreis, ihr haltet euch an den Händen, macht ein paar Schritte nach rechts, ein paar Schritte nach links und ihr nehmt dabei die anderen wahr, die mit euch im Kurs sind. Nachdem ihr warm geworden seid, stellt ihr euch auf als Tangopaar, der Mann in Tanzrichtung blickend, die Frau mit dem Rücken zur Tanzrichtung. Ihr gebt euch die Hände – zuerst noch jeweils beide Hände, später nur die Hände auf der in die Mitte des Saals zeigenden Seite. Die anderen Hände suchen ihren Platz auf dem Rücken, auf der Schulter des anderen: Wo liegt die Hand gut, für dich und für den Partner, wie nahe wollt ihr euch beim Tanzen sein?
Ihr hört erstmals Worte wie “Achse”, „zweispurig“ und „dreispurig“, in späteren Kursstunden „Ocho“ und „Moulinette“, und ihr übt die ersten Schritte. Doch hoppla – so einfach ist das gar nicht! Ihr zieht aneinander, jeder in eine andere Richtung, und ihr werdet dabei langsam grantig. Plötzlich der Ruf:
Die Frauen gehen einen Tänzer weiter.
Du begrüßt den neuen Tanzpartner, schaust ihm ins Gesicht, lächelst ihn an. „Ich bin die …. Wie heißt du?“ Und ihr übt die gleichen Schritte wie zuvor. Und bemerkt Unterscheide zum eigenen Partner: Der hier führt anders, der hat andere Schwierigkeiten, der kann das schon, … Zwei, drei Musikstücke später ertönt der Ruf:
Verabschiedet euch voneinander, dankt einander – die Frauen gehen einen Tänzer weiter.
So geht das auch ein drittes Mal, dann der Ruf:
Und jetzt zurück zum Original.
Du suchst deinen Partner, dein „Original“, lächelst ihn an wie vorher die anderen Tanzpartner – und ihr übt nochmals zusammen, jetzt mit den Erfahrungen, die ihr beim Üben mit den anderen Tanzpartnern gemacht habt. Am Ende der Unterrichtsstunde wird nochmals Musik aufgelegt, um frei zu tanzen – mit neu gelernten Schritten oder auch ohne sie – nur so zum Spaß, zum Ausklang.
Auf der Heimfahrt redet ihr miteinander: „Der … führt ganz anders als du.“ „Die … reagiert schon bei ganz schwachen Signalen.“ … Und ihr tauscht euch aus über diese Tanzpartner – Männer und Frauen –, von denen ihr jeweils nur die eine Seite des Paares kennt. Ja, ihr habt auf der Rückfahrt etwas zu reden – über euer Üben, über das Neu-Gelernte und darüber, was ihr beim Üben mit den anderen auch über euch selbst erfahren habt.
Jahre später denkt ihr gerne an den Unterricht mit ihr zurück, die die Stimmung im Saal und unter den Paaren so klug erfasste und damit umgehen konnte. Und ihr wisst diese Art ihres Unterrichts zu schätzen: ein Unterricht, bei dem man nicht die ganze Zeit als Paar aneinander klebt und dabei Alltag und Tanzenlernen miteinander „verwurstelt“ und sich im Noch-nicht-Können aneinander reibt. Ein Unterricht, bei dem ihr mit anderen zusammen übt, sie bei der Begrüßung anlächelt und euch zwei Tänze später für das Üben bedankt – und in dieser kurzen Runde ein bisschen etwas von dieser Person kennengelernt habt: Wie forsch ist er, wie selbstsicher ist sie, wie schüchtern wirkt er, …? Wenn ihr euch Tage später bei einer Milonga trefft, werdet ihr vielleicht auch mit diesen Partnern tanzen wollen, deren Namen ihr gerade erstmals gehört habt.
Durch diesen Unterricht entsteht Nähe, Nähe zu Fremden und Nähe zum eigenen Partner: Man schaut sich an, nimmt einander wahr, lernt Neues aneinander kennen und erfährt dabei auch etwas über sich selbst. Mit diesem Unterricht lernt ihr nicht einfach nur neue Schritte, sondern auch, wie es auf einer Milonga zugehen kann: andere Tanzpartner kennenlernen, sie wahrnehmen und achten, den Tanz mit ihnen fühlen, sie anlächeln, sich bedanken. Und freut euch darauf, wenn es heißt:
Zurück zum Original!